Arbeiten 4.0 - Was ist das Gute in der Arbeitswelt?
Darüber waren sich die Teilnehmer der Fachtagung "Arbeiten 4.0", zu der die Benediktushöhe Retzbach, das Bildungswerk der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung und die Katholische Akademie Domschule gemeinsam eingeladen hatten, schnell im Klaren.
Die Veranstalter nahmen das 125-jährige Jubiläum der Veröffentlichung der ersten Sozialenzyklika Rerum Novarum zum Anlass, die neuen Dinge des 21. Jahrhunderts in den Blick zu nehmen. Bereits vor 125 Jahren habe Papst Leo XIII "die bange Erwartung der Gemüter gegenüber der Zukunft" ernst genommen, zitierte Bruno Seuffert, Leiter der Benediktushöhe Retzbach, aus dem päpstlichen Rundschreiben von 1891. Ähnlich wie zu Beginn der Industrialisierung stehe die Arbeitswelt erneut vor gravierenden Umbrüchen. Doch man wolle nicht nur die damit verbundenen Risiken sondern vor allem die Chancen für die Gestaltung der Arbeitswelt in den Blick nehmen. Bei der Konzeption der Veranstaltung seien sich die Veranstalter einig gewesen, keine Exegese kirchlicher Lehrschreiben zu betreiben, sondern vielmehr Parallelen zur heutigen Situation zu suchen und positive Leitbilder zu entwickeln. Die Gestaltung der Arbeitswelt sei vor allem auch eine ethische Aufgabe.
Peter Hartlaub, KAB Diözesanpräses und Leiter der Betriebsseelsorge im Bistum Würzburg beschrieb die Entwicklungen, die Unternehmen und Beschäftigte heute herausfordern. Dabei nannte er zunächst die Digitalisierung, die neue Geschäftsmodelle und neue Tätigkeiten hervor bringe. Diese Entwicklung habe sowohl Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze wie auch auf die Arbeitsbedingungen. Insbesondere Qualifizierung und lebenslanges Lernen seien zukünftig unverzichtbar. Daneben nannte Hartlaub als zentrale Herausforderung die Globalisierung, die nicht mehr zurückzunehmen sei, auch wenn manche Politiker dies behaupteten. Das erfordere einen neuen Umgang mit Vielfalt und Kooperation in den Unternehmen auch über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg. Eine dritte Herausforderung sei die Suche nach einer besseren Vereinbarkeit von Arbeiten und Leben, gerade bei jüngeren Beschäftigten. Gerade wegen der enormen Geschwindigkeit der Veränderungen sei die Unsicherheit groß und mache Menschen empfänglich für vermeintlich einfache Lösungen. Deshalb sei die Fragestellung nach der zukünftigen Gestalt von Arbeiten und wirtschaften eine Schlüsselfrage für die demokratische Gesellschaft. Angelique Renkhoff-Mücke, Vorstandsvorsitzende der Warema Holding in Marktheidenfeld, bestätigte die unglaublichen Umbrüche in der Arbeitswelt. Die Arbeitsbedingungen hätten sich seit der industriellen Revolution in den letzten hundert Jahren Stück für Stück verbessert. Die Arbeit sei leichter und sauberer geworden. Die Menschen arbeiteten kürzer und flexibler. Gleitzeit und Teilzeit seien Selbstverständlichkeiten. Mehrere Menschen teilten sich einen Arbeitsplatz und führten Arbeitszeitkonten, die sie für Erziehung, Pflege oder einen vorgezogenen Übergang in den Ruhestand nutzen könnten. Gesundheitsmanagement, Stressmanagement, Demografiemanagement, sowie Weiterbildungsangebote würden Menschen befähigen, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen. Die Unternehmen müssten sich um ihre Mitarbeiter bemühen, weil Arbeitskräfte knapp seien. Arbeiten 4.0 bedeute bei Warema, dass sich Tätigkeiten in Produktion und Administration veränderten. Monotone Arbeiten würden von Robotern übernommen und Buchungsvorgänge
automatisiert. Das Gute an der Arbeitswelt, das es zu sichern gelte, sei die Selbstbestimmtheit über Arbeitsort und Arbeitszeit. Dies erleichtere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Kerstin Stehle, Geschäftsführerin operativ der Agentur für Arbeit in Würzburg, stellte die gute Nachricht an den Beginn ihrer Ausführungen. Die Experten seien sich einig, dass die Digitalisierung nicht zu einem massiven Abbau von Arbeitsplätzen führen werde. Allerdings sei mit der Digitalisierung der Arbeitswelt ein wachsenden Aus- und Weiterbildungsbedarf in Richtung digitaler Kompetenz und technischer Affinität verbunden. Aber auch Soft-Skills wie Team- und Kommunikationsfähigkeit und Kreativität seien gefragt. Intelligente Maschinen übernähmen belastende Arbeiten und schafften Freiraum für steuernde, kommunikative und kreative Tätigkeiten. Die Bereitschaft, lebenslang zu lernen, sei der Schlüssel für die Zukunft. Die Grundschüler von heute würden künftig in Berufen arbeiten, die es heute noch gar nicht gebe. Neue Beschäftigungstrends wie „crowdworking“ und Projektarbeit mit hoher Flexibilität bildeten
sich heraus, seien aber auch gleichzeitig mit dem Verlust von sozialer Absicherung verbunden.
Für Percy Scheidler, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Aschaffenburg, definiert sich der digitale Betrieb über die Arbeitsprozesse. Die Programmierung von Robotern erfolge beispielsweise nicht im Betrieb, sondern sei an jedem Ort der Welt möglich. Die Steuerung von Arbeitsabläufen erfolge über selbstlernende Systeme. Selbst in den administrativen Berufen komme die Rationalisierung nun an. Um das Gute in der Arbeitswelt zu erhalten, müsse das Sozialstaatsprinzip und die Sozialpartnerschaft erhalten bleiben. Scheidler forderte mehr Regulierung, den Ausbau von Arbeits- und Gesundheitsschutz, neue Formen der Teilhabe und den Ausbau von Aus- und Weiterbildung. Gute Arbeit würde gut bezahlt und sichere die gesellschaftliche Teilhabe. Arbeiten 4.0 brauche einen Sozialstaat 4.0, der die Grundrisiken weiterhin absichere. Gute Arbeit bedeute auch, die Umverteilungsfrage zu stellen, denn gute Rendite mit wenig Menschen zu erzielen gefährde den Sozialstaat, weil es dann Probleme gebe, die Sozialversicherungssysteme zu finanzieren.
"Seit meiner Ausbildung hat sich viel zum Guten verändert", stellte Michael Bauch, Übergangspersonalratsvorsitzender Klinikum Würzburg Mitte, fest. Die Digitalisierung habe im Bereich der Dokumentation das zeitraubende analoge Verfahren abgelöst. Allerdings habe die Digitalisierung der Arbeitswelt auch zu einer schnelleren Taktung der Arbeit geführt, die jeden persönlichen Rhythmus verhindere. Früher habe es mehr Zeit zum Nachdenken und zum Austausch gegeben. Die Arbeitnehmer fühlten sich ihrer Selbstwirksamkeit beraubt. Selbstwirksamkeit sei aber ein menschliches Grundbedürfnis, bedeute Würde, persönliches Glück und Einklang mit unseren Gedanken. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung gingen schwierige Aufgaben mutiger an. Selbstwirksame Menschen wollten über ihr Leben selbst bestimmen, also auch über Zeit und Ort ihrer Arbeit.
Prof. Dr. Michelle Becka, Professorin für Christliche Sozialethik an der Universität Würzburg, deutete das Gute in der heutigen Arbeitswelt aus sozialethischer Sicht. Gute Arbeit sei menschenwürdig und gerecht. Gute Arbeit trage den grundlegenden Bedürfnissen der Arbeitenden und ihrer Familien Rechnung. Wo Anerkennung erfahrbar sei, die die Selbstschätzung des Einzelnen ermögliche oder stärke und sozialen Zusammenhalt stifte, da komme das Gute in der
Arbeitswelt zum Ausdruck. Kennzeichen guter Arbeit seien unterstützende soziale Beziehungen, Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten, kreative Möglichkeiten und ein Arbeitsinhalt, der Sinn vermittle.
Dr. Stefan Meyer Ahlen, Studienleiter der Akademie Domschule Würzburg, zog ein positives Resümee angesichts der vielschichtigen und intensiven Diskussionen dieses Studientages. Abschließend ging er noch darauf ein, wie ein guter Umgang mit Erfahrungen von Überforderung und Scheitern aussehen kann. Hierbei kann auch die christliche Glaubensbotschaft eine hilfreiche Unterstützung sein und zu einer Perspektivenveränderung und persönlichen Ermutigung beitragen.