Risikomanagement und Fehlerkultur in der Medizin
Ursachen für medizinische Behandlungsfehler sind oft fehlerhafte oder fehleranfällige Abläufe und Strukturen. Mit dieser Einschätzung eröffnete Dieter Wagner, der Leiter der Benediktushöhe, die Fachtagung zum Thema „Hilfe bei einem medizinischen Behandlungsfehler“, zu der das Haus für Soziale Bildung in Retzbach in Kooperation mit der Notgemeinschaft Medizingeschädigter (NGM) und mit Unterstützung der Techniker Krankenkasse eingeladen hatte. Im Sinne der Patientensicherheit müsse man sich um eine vernünftige Fehlerkultur kümmern. Behandlungsfehler dürften weder vertuscht, noch skandalisert werden. Wer Fehler mache, so Wagner, müsse dafür einstehen aber auch daraus lernen.
Ewald Kraus, Vorsitzender der NGM, stellte das Angebot des Selbsthilfevereins vor, der seinen Mitgliedern eine kostenlose Erstberatung durch Allgemeinmediziner und Anwälte ermöglicht. Sie erhalten zusätzlich Unterstützung bei der Beschaffung ihrer medizinischen Unterlagen. Nicht jede Behandlung, die nicht den gewünschten Erfolg gebracht habe, sei mit einem Behandlungsfehler gleichzusetzen, so Kraus. Die Behandlungen müssten zwar nach den Standards der medizinischen Wissenschaft durchgeführt werden, der Arzt aber schulde den Patienten keinen Behandlungserfolg. Von der Stellung einer Strafanzeige riet Kraus ab. Sie hätte nur das ein Ziel, einen Arzt wegen einer strafbaren Handlung zu belangen. Für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen habe dieser Rechtsweg aber so gut wie keine Relevanz. Die NGM habe sich über viele Jahre hinweg für die Weiterentwicklung des Patientenrechtegesetzes stark gemacht. Inzwischen sei das „Gesetz zur Verbesserung der Rechts von Patientinnen und Patienten“ in Kraft getreten, bliebe aber hinter den Erwartungen der Fachleute zurück. Vieles sei beim Alten geblieben und für Patienten, die einen Behandlungsfehler nachzuweisen hätten, habe sich nichts verbessert.
Zur Verbesserung der Situation von Medizingeschädigten forderte der Vorsitzende der Notgemeinschaft die Einführung eines verbindlichen Fehlermeldesystems in Kliniken und Arztpraxen, eine verschuldensunabhängige Schadensregulierung im Medizinbereich, die Einrichtung von unabhängigen, weisungsungebundene Gutachterstellen, eine verstärkte Pflicht der Gerichte zur Amtsermittlung in Arzthaftungsfragen und die Umkehr der Beweislast bei Verdacht auf einen medizinischen Behandlungsfehler.
Diese Einschätzung teilte auch Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale in Hamburg. Er sehe keine Erleichterung bei der Beweislast für Patienten, wenn ein Verdacht auf medizinische Behandlungsfehler bestehe. Von der Politik forderte er bessere Patientenrechte, zumal das Patientenrechtegesetz in seiner bestehenden Form weitgehend nur Bürgerrechte formuliere und lediglich die bisherige Rechtsprechung in Paragraphenform gegossen hätte. Kranich forderte zudem die flächendeckende Einführung eines Risiko- und Beschwerdemanagements für Krankenhäuser.
Dr. Ingeborg Singer beleuchtete medizinische Behandlungsfehler aus Sicht des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK). Nach wie vor sei es das Prinzip des deutschen Arzthaftungsrechts, dass die Patienten die Beweislast für den ärztlichen Fehler, für den erlittenen Schaden und für die Kausalität zwischen Fehler und Schaden zu tragen hätten. Als medizinische Laien könnten die Patienten diesen Beweis nie und nimmer erbringen. Bei einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler könne die gesetzliche Krankenversicherung, die Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen oder ein Fachanwalt für Medizinrecht helfen. Sobald die Krankenkasse für die Patienten aktiv werde, würde immer der MDK eingeschaltet. Oberstes Ziel des Medizinischen Dienstes sei es, den Patienten zu ihrem Recht zu verhelfen, sie aber auch vor falschen Schritten zu bewahren. Der medizinische Dienst unterstütze die betroffenen Patienten durch Anfertigung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.
Benedikt Jansen, Fachanwalt für Medizinrecht, berichtete über authentische Fälle aus seiner Praxis. Auch er bestätigte, dass das Patientenrechtegesetz unzureichend ist. Was im Patientenrechtegesetz stehe, habe bis auf ein paar kleine Ausnahmen keinerlei Veränderungen in seinem beruflichen Alltag und keinen Vorteil für seine Mandanten gebracht.
Jansen riet ferner zu einer Rechtsschutzversicherung, da die Haftpflichtversicherungen der Ärzte, selbst bei einer eindeutigen Feststellung von Behandlungsfehlern, oft nicht zahlten und den Geschädigten nur der Gang zum Gericht bleibe.
Auch Betroffene kamen im Rahmen der Fachtagung zu Wort. Sie berichteten von Ihren Erfahrungen mit Krankenhäusern und Arztpraxen. Dass Ärzte zu Ihren Fehlern stehen, sei eher die Ausnahme, so lautete die Quintessenz der Einzelberichte.